Die Silhouetten Stockholms verschwinden
allmählich im Dunst. Es ist halb sechs Uhr abends, und die Sonne steht noch immer
hoch am Himmel. Wie auf
Schienen gleitet das riesige Schiff durch die Schären. Die Männer auf der
Brücke leisten Massarbeit. Sie zirkeln den Dampfer vorbei an tückischen,
knapp aus dem Wasser ragenden Felsen und Inseln mit roten und gelben Sommerhäusern.
Menschen sind keine zu sehen. Nur ein paar Möwen flüchten vor dem blau-weissen
Ungetüm, das gar nicht in diese Welt passt, in der alles niedlich und märchenhaft
anmutet und an Astrid Lindgren und Pippi Langstrumpf erinnert.
Die Fähre ist das beste Verkehrsmittel, um von einem Ostsee-Land ins andere zu
gelangen - von Schweden nach Finnland, von Finnland nach Deutschland, von Polen nach
Dänemark. 2100 Passagiere reisen heute mit der «Silja Serenade» von
Stockholm nach Helsinki. Aber nur zwei Dutzend saugen an der Reeling auf dem Promenadendeck
die Bilder dieser traumhaften nordischen Landschaft in sich auf. Skandinavier wollen
auf der Fähre kein Sightseeing, sondern Vergnügen.
Die Bandbreite an Amuesement ist gross: Auf dem Promenadendeck trägt neben spielenden
Kleinkindern und bechernden Opas ein Rudel Halbwüchsiger eine Partie Unihockey
aus. Die Passagiere liegen in den Whirlpools der «Sunflower Oasis», einer
tropischen Badelandschaft hinter Glas, hängen in der Stardust Bar unterm Schiffskamin
herum oder lassen die Spielautomaten im Entrée des Casinos jaulen. Und im Supermarkt
auf Deck 6 haben sich gleich nach Ablegen der «Serenade» lange Schlangen
an den Kassen gebildet.
«Für uns Finnen gehört ein Ausflug mit der Fähre nach Stockholm
zum fixen Jahresprogramm», sagt Jaana. Wir hatten die Lehrerin aus Helsinki im
Café am Fähren-Terminal getroffen. «Die einen gehen in Stockholm
ins Museum oder besuchen Bekannte, die andern lassen sich auf dem Schiff volllaufen.»
Auf ein Exemplar letzterer Kategorie stossen wir auf Deck 12. Wir wollen von hier oben
die jetzt im goldenen Abendlicht ruhende Schärenlandschaft
geniessen. Eine ältere Frau liegt mehr als sie sitzt in einem Stuhl. Mit einer
Hand umklammert sie eine Büchse Lapin-Kulta-Bier. Die andere Hand hält einen
Einkaufswagen, in dem Kartons mit finnischem Bier aufgetürmt sind.
Eine Arche Noah für Alkoholiker ist die «Silja Serenade» aber nicht.
Die wahren Kampftrinker, wird uns von Passagieren und Crewmitgliedern versichert, reisen
mit der Konkurrenz von der Viking Line. Die ist billiger, denn auf der «Ketch-up-Line»
ist man nicht gezwungen, eine Kabine zu mieten. Ein Sessel tuts auch.
Shoppen, Tanzen und dann ab in die
Bar zum Schlummertrunk
|
Erst im zweiten Anlauf gelingt
es uns, einen Platz im Buffet Serenade, einem er sechs Restaurants an Bord der «Serenade»,
zu ergattern. Die Passagiere machen sich über Berge von Lachs, Hering und Dorsch
her, knacken Muscheln und spülen das maritime Mahl mit enormen Mengen von Bier
und Wein vom Fass hinunter.
Der Bummel durch die 143 Meter lange Shopping-Arkade kühlt das Gemüt nach
der Schlacht am Buffet wieder ab. Kosmetika, Parfüms, CDs, Kinderklamotten, Lederwaren
und Souvenirs werden hier in Massen abgesetzt. Die in Finnmark und schwedischen Kronen
angeschriebenen Preise sind aber für unsere Verhältnisse nicht attraktiv.
Im Atlantis Palace wird eine beliebte finnischen Sitte gepflegt: Im Schummerlicht drehen
sich Paare mittleren Alters zu den Klängen einer Liveband.
Finnen tanzen überall - solange sie sich auf den Beinen halten können.
Draussen dämmerts mittlerweile. Zeit für einen Schlummertrunk. Unversehens
platzen wir in der Bon Vivant Bar in einen Blitzlehrgang zum Thema Portwein: Der kahlköpfige
finnische Barkeeper macht ein gut gekleidetes schwedisches Paar mit den Raffinessen
des Portweins vertraut und lädt uns gleich zur Degustation ein. In zehn Minuten
erfahren wir alles, was wir schon immer wissen wollten, über Dow's der Jahrgänge
77, 86 und 88. Während der Barmann den Bestellblock zückt und mit den Schweden
im schwimmenden Weinlager verschwindet, suchen wir die Kabinen auf.
Als die «Serenade» um Mitternacht in Mariehamn auf den Aland-Inseln anlegt,
schlummern wir tief. Verpasst haben wir nichts. Vermutlich ist kein einziger Passagier
von Bord gegangen. Denn der Halt auf Aland ist taktischer Natur. Damit umgeht die Reederei
die Restriktionen der EU, die Taxfree-Shopping untersagt. Aland gehört zwar zu
Finnland, nicht aber zur EU.
Erst eineinhalb Stunden bevor das Schiff am andern Morgen sein Ziel erreicht, belebt
sich der schwimmende Shopping-, Fress- und Sauftempel mit
übernächtigten Gestalten. Die spektakuläre Einfahrt ins Hafenbecken
Helsinkis erleben wir vorne am Bug. Der Steuermann manövriert den 213 Meter langen
Kahn präzise zwischen den Inseln durch, die Helsinkis Fährhafen vom offenen
Meer abschirmen.
Die griechische «Superfast
VII» ist in nur 22 Stunden in Rostock
|
Um das Kontrastprogramm zur «Serenade»
zu erleben, rattern wir von Helsinki aus erst mal per Bus eineinhalb Stunden durch
die Provinz. Im Hafen der Kleinstadt Hanko am Südzipfel Finnlands startet die
«Superfast VII» dreimal pro Woche zur Reise durch die Ostsee nach Rostock.
Das schnittige rot-weisse Schiff verkehrt erst seit Mitte Mai - und hat das Fähren-Business
in der Baltischen See revolutioniert.
«Wir brauchen nur 22 Stunden von Finnland bis Rostock», sagt Chef-Steward
Charralambos Psarrakis. Zum Vergleich: Die altehrwürdige «Finnjet»,
die bis anhin als schnellstes Fährschiff der Welt galt, benötigt für
die Strecke Helsinki-Rostock bis zu 25 Stunden, den Halt in Tallin miteingerechnet.
Von Bouzouki-Käengen und Sirtaki-Tänzern bleiben die Passagiere an Bord der
«Superfast VII» zwar verschont, obwohl wir uns unzweifelhaft auf
griechischem Terrain befinden. Der Kahn, der pro Stunde 50,2 Kilometer zurücklegt,
gehört zur Flotte von Pericles S. Panagopoulos. Der schwerreiche griechische Reeder
beherrscht mit sechs Superfast-Schiffen das Fährengeschäft auf der Italien-Griechenland-Route.
Jetzt erobert Panagopoulos Nordeuropa: Nächstens nimmt die «Superfast VIII»
den Betrieb auf der Hanko-Rostock-Linie auf. 2002 sollen Superfast-Fähren auch
zwischen Stockholm/Södertälje und Rostock sowie in Grossbritannien verkehren.
Das hellenische Ostseeschiff schmückt sich mit dem Zertifikat «Finnish Ice
Class 1A Super», und auch die vielen Griechen in der Mannschaft sind
kältefest. «Die meisten Kollegen», versichert Chef-Steward Psarrakis,
«haben auf Kreuzfahrtschiffen in der Nordsee gearbeitet.»
Während die «Superfast VII» zur Reise in den Süden startet, lassen
wir uns im gediegenen Schiffsrestaurant Lammkoteletts, Gemüse und Bratkartoffeln
schmecken und trinken einen kräftigen Montepulciano Della Cale. Die griechischen
Kellner servieren das erstklassige Mahl mit der Grandezza der Südländer,
Mister Psarrakis höchstpersönlich räumt die leeren Teller ab. «Die
ist in erster Linie Schiff und Transportmittel und weniger Supermarkt oder Saufmeile.
Das wirkt sich wohltuend auf die Ambiance an Bord aus. Die Passagiere ziehen sich zum
Lesen und Schwatzen in die vielen Sitznischen zurück. Die Kleinsten toben durchs
mit bunten Bällen gefülle Kinderparadies. Und in den beiden Shops hat die
Bedienung alle Zeit dieser Welt, Gestelle neu einzuräumen.
Schlichtes skandinavisches Design dominiert im griechischen Schiff: viel Holz, warme
Farben, nichts Schrilles oder gar Grosskotziges. Die Disco ist in ein Untergeschoss
verbannt; das im Prospekt angekündigte Casino suchen wir vergeblich.
Zum Abschied dröhnt aus den
Lautsprechern «Akropolis adieu»
|
Auf dem Handy-Display blinken
zwar immer wieder schwedische, dänische und deutsche Signale, aber Land kommt
erst nach 21 Stunden auf See in Sicht: Wald, Strände und Kühltürme von
Atomkraftwerken. Kapitän Peter Chakoumatos beordert alle Offiziere auf die mit
Computern und Bildschirmen bestückte Brücke. Volle Konzentration ist gefragt,
denn vor der Einfahrt in den Rostocker Hafen wimmelt es von Ausflugsschiffen, Segelbooten
und kleineren Schweden-Fähren. Chef-Steward Psarrakis geleitet die Passagiere
von Bord. Aus dem Lautsprecher dröhnt «Akropolis adieu». |